Kommentar: WM-Selektion stimmt nachdenklich

Letzte Woche hat Swiss Cycling die WM-Selektion bekanntgegeben. Erfreulich, dass bei den Elite Herren um Kevin Kuhn und Landesmeister Timon Rüegg ein starkes Team antritt. Aber was ist mit den Frauen?

Kommentar von Christian Rocha ¦ Photo Jasmin Honold

Das Schweizer Saisonfinale im Radquer hat viele gepackt. Lanciert von den Weltcup-Plätzen 3 und 5 in Val die Sole von Kevin Kuhn und Timon Rüegg. Gefolgt vom Finale des Swiss Cyclocross Cup in Meilen und den spannenden und packenden Schweizer Meisterschaften in Mettmenstetten. Das Radquerfieber ist somit in der Schweiz nach einer herausfordernden Zeit aufgrund der Covid-19-Pandemie und dem Ende der EKZ CrossTour wieder entfacht. Doch wenn Swiss Cycling mit nur gerade zwölft Athletinnen und Athleten nach Hoogerheide (NED) an die WM reist, wirft dies Fragen auf.

Wieso nur zwei Frauen?

Mit Zina Barhoumi (Elite) und Jacqueline Schneebeli (U23) fahren nur zwei Frauen an die WM. Die Selektion von Nationalcoach Bruno Diethelm ist unbestritten. Sie ist fair, transparent und korrekt. Denn mehr hat der Schweizer (Frauen)-Radquersport momentan einfach nicht zu bieten.

Als vor rund fünf Jahren die UCI klare Schritte unternommen hatte, die Frauen den Männern gleichzusetzen, ist in den Niederlanden und in Belgien ein echter Frauenboom ausgebrochen. Jedes Team musste mindestens eine Frau im Kader haben. Viele Frauen, nicht nur aus Belgien und den Niederlanden, bekamen innerhalb kürzester Zeit die Chance, im selben professionellen Umfeld Unterschlupf zu finden, wie viele Männer. Auch finanziell lockten bessere Löhne und vor allem hohe Preisgelder. Nur in der Schweiz schien dies keine Frau wahrgenommen zu haben.

Viele gute Beispiele, nur nicht in der Schweiz

Noch heute kombinieren praktisch alle erfolgreichen Radquer-Fahrerinnen zwei Disziplinen. Die beiden Superstars aktuell, Fem van Empel und Puck Pieterse, allen voran. Seit vielen Jahren ist das Vorbild Marianne Vos, die amtierende Weltmeisterin. Doch auch die aufstrebende Italienerin Silvia Persico (WM-Dritte im Cross und auf der Strasse) lebt es vor, dass beides nebeneinander sehr gut geht. Bei den ganz jungen Fahrerinnen beweisen dies Kata Vas (Hun), Line Burquier (Fra) oder auch Zoe Backstedt (Gbr).

Die Schweiz hätte da auch etwas zu bieten gehabt. Denn Noemi Rüegg, Monique Halter, Sina Frei oder Nicole Koller waren als junge Fahrerinnen in mehreren Disziplinen erfolgreich. Doch mit dem Schritt in die U23-Klasse oder zur Elite, fokussierten sich dies nur noch auf ihre Hauptdisziplin. Wieso?

Im Verband interessiert sich niemand für Radquer

Obwohl es sicher mehrere Erklärunge gibt, liegt Hauptgrund beim Verband: In den Strukturen von Swiss Cycling hat Radquerförderung keinen Platz. Es gibt keine Gelder von Swiss Olympic. Und auch in den Köpfen, scheint Radquer wenig Platz zu haben. So hat der neue MTB-Nationalcoach Beat Müller in einem Interview mit dem Magazin «Fit for Life» vor rund eineinhalb Jahren folgende Erklärung abgegeben: «In Belgien kann man mit Radquer Geld verdienen. In der Schweiz nicht». Doch Hand aufs Herz: Van der Poel, van Aert, Pidcock oder auch van Empel und Pieterse haben nicht mit Radquer begonnen, weil sie Geld verdienen konnten. Sondern weil es eine geile Disziplin ist und weil ihr Umfeld (Familie, Trainer, Team und Verband) sie in ihrem Unterfangen, zwei Disziplinen zu kombinieren, voll und ganz unterstützte. Dabei braucht es aber den Willen und die Bereitschaft, in beiden Disziplinen auf gewisse Sachen zu verzichten.

Dass Alessandra Keller als absolute Spitzenbiker in den letzten zwei Jahren einige Radquerrennen bestritte hat, ist ein Lichtblick. Doch eigentliche Besserung oder eine andere Ausrichtung ist momentan nicht in Sicht. So haben auch die zwei besten U19-Fahrerinnen, Jana Glaus und Muriel Furrer, ihren WM-Verzicht bekanntgegeben. Die Zukunftsaussichten sind also schlecht. So bleibt einzig die Hoffnung, dass bald einmal ein Ausnahmetalent kommt und aus eigenem Willen und eigenem Antrieb, ohne Abraten des Umfeldes, zu hundert Prozent auf Radquer setzt. Dann hätten die jungen Schweizerinnen wieder ein Vorbild und in den Köpfen könnte ein Umdenken stattfinden.

Zur Person:

Christian Rocha organisierte während zehn Jahren das Saisonauftaktrennen Süpercross Baden. Von 2014 bis 2021 war er für den Aufbau und die Entwicklung der EKZ CrossTour zuständig. Rocha organisierte 2018 und 2019 zwei Radquer-Weltcups in Bern. Seit rund 15 Jahren ist Rocha als Speaker in den Disziplinen Radquer, Strasse, MTB und Bahn aktiv. Er arbeitet früher in der Kommunikation von Swiss Cycling und war von 2012 bis 2015 Nationalcoach Frauen Strasse. In seiner Selbstständigkeit mit der crossroads Event und Kommunikation GmbH betreit Rocha seit 2021 eigenständig die Plattform swiss-cyclocross.ch.


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