Kommentar:
Wir brauchen Veranstalter!

International erlebt die Bedeutung des Radquersports die wohl grösste Blütezeit seit den Neunzigerjahren. Doch in der Schweiz durchlebt der Sport seit der Covid-Pandemie schwierige Zeiten. Der einzige Weg aus der Krise: Mehr Veranstaltungen!

Kommentar von Christian Rocha ¦ Photo Steffen Müssiggang

Wenn Mathieu van der Poel (Ned), Pauline Ferrand-Prévot (Fra), Wout van Aert (Bel), Tom Pidcock (Gbr) oder die aufstrebende Silvia Persico (Ita) auf der Strasse oder im Mountainbike Erfolge einfahren, ist klar: Diese Athleten kommen aus dem Radquersport. Ihre Radsportausbildung wurde im Gelände, mit den dünnen Reifen und im Schlamm gemacht. Was international momentan Schule macht, scheint nur in der Schweiz nicht angekommen zu sein: In der Ausbildung auf Radquer zu setzen und einen Weg mit zwei Disziplinen zu begehen, kann eine grosse Bereicherung für eine Athletenlaufbahn bedeuten – wenn man bereit ist in beiden Disziplinen auch Abstriche zu machen und sich auf die grossen Ziele fokussiert.

Als Profi Radquersport verlassen

So haben die aktuellen Schweizer Strassenprofis früher oder später dem Radquersport den Rücken zugekehrt. Vergessen wir nicht: Mauro Schmid, Marc Hirschi, Gino Mäder, Fabian Lienhard, Johan Jacobs oder bei den Frauen Noemi Rüegg: Alle haben in den Nachwuchskategorien Radquerrennen bestritten. Alle erfolgreich. Auch die Bikeprofis Lars Forster, Sina Frei oder Nicole Koller waren erfolgreich im Cross. Heute fahren sie nur noch kleine Teile der Saison oder gar nicht mehr in den Wintermonaten.

Das führt dazu, dass in der Schweiz die grossen Namen, die Aushängeschilder verloren gehen. Damit fehlt dem Sport auch die mediale Beachtung. Doch die Jahre der EKZ CrossTour haben gezeigt, dass es möglich ist, den Sport über grosse, gut organisierte und hoch dotierte Veranstaltungen erfolgreich zu machen und somit auch für die Athleten attraktiv. Aktuell befindet sich der Schweizer Crosssport jedoch in einer Krise – einer grossen Krise. Seit der Covid-Pandemie und dem Ende der EKZ CrossTour fehlt es an eben diesen Veranstaltern.

Nur noch fünf internationale Rennen

Im letzten Jahr gab es sieben internationale Radquerevents, dazu die Schweizer Meisterschaften in Mettmenstetten. Weil Bulle kein Rennen mehr veranstaltet, Meilen die SM übernimmt und Mettmenstetten wie bisher ein C2-Rennen im Oktober macht (und nicht auch noch die SM dazu), fallen zwei Rennen in der kommenden Saison weg. Somit stehen mit Illnau, Mettmenstetten, Steinmaur, Schneisingen und Hittnau gerade mal fünf C2-Rennen auf dem Programm. Von Hittnau (Mitte November) bis zur SM in Meilen (Mitte Januar) gibt es während zwei Monaten kein einziges internationales Radquer in der Schweiz. Diese Lücken können auch die tollen regionalen Serien Omnium Romand und Afeno Quer- und Bike-Cup nicht füllen.

Weil der Verband Swiss Cycling das Budget für das Nationalteam unter dem neuen Nationalcoach Andreas Kugler noch weiter gekürzt hat, werden in Zukunft vom nationalen Verband auch keine Weltcups in den Nachwuchsklassen mehr beschickt. Wer will, kann auf eigene Faust an die Weltcups fahren. Neu sollen in die Radquerausbildung und in Trainingsangebote investiert werden. Das mag hoffnungsvoll klingen, grundsätzlich sind das aber sehr düstere Aussichten für den Sport. Hoffnungen auf Förderung durch den Verband müssen definitiv begraben werden.

Mehr Rennen = mehr Fahrer*innen

Der Radquersport wurde hierzulande schon oft totgeschrieben. Doch schon oft ist er wieder zu neuem Leben erweckt worden. In der aktuellen Situation bleibt aber nur ein Weg, um den Sport wieder dorthin zu führen, wo er vor 3 bis 4 Jahren war: Wir brauchen mehr Veranstalter! Denn wenn es genügend Rennen gibt, in allen Teilen der Schweiz, dann werden diese Angebote, besonders im Nachwuchs, auch rege genutzt. Oder anders gesagt: Dann lohnt es sich, den grossen materiellen Aufwand zu betätigen, um eine ganze Saison Radquer zu bestreiten. Um langfristig wieder erfolgreich zu sein, braucht es eine breite Basis. Und dafür benötigt es internationale Wettkämpfe von Ende September bis zu den Landesmeisterschaften im Januar.

In der Schweiz gibt es viele Klubs mit vollen Kassen. Es fehlt aber an Köpfen, die hinstehen, Verantwortung übernehmen und eine ganze Gruppe mitziehen und begeistern können. Nur so entstehen neue Rennen. Nur so können die schmerzlich vermissten Veranstaltungsorte Baden, Bern, Madiswil, Nyon, Sion, Dagmersellen, Eschenbach, Dielsdorf, Aigle, Pfaffnau oder wie sie alle hiessen, wieder ersetzt werden.

Jetzt investieren, ab 2024 organisieren

Der Radquersport ist die schönste Radsport-Disziplin, die vielfältigste, die abwechslungsreichste und faszinierendste. Lasst und gemeinsam an der Zukunft dieses tollen Sport arbeiten. Wer heute darüber nachdenkt, vielleicht in Zukunft einen Radquerevent auf die Beine zu stellen, muss jetzt anfangen, um dies 2024 in die Realität umsetzen zu können. Die Hoffnung und die Chancen sind noch da, auch wegen swiss-cyclocross.ch und dem neu lancierten Swiss Cyclocross Cup, welche den Veranstaltern eine Plattform und eine Basis bieten, um als Organisator einzusteigen. Doch viel Zeit bleibt nicht mehr. Ansonsten heisst dann irgendwann «laatste ronde» für den Radquersport in der Schweiz.

Zur Person:

Christian Rocha organisierte während zehn Jahren das Saisonauftaktrennen Süpercross Baden. Von 2014 bis 2021 war er für den Aufbau und die Entwicklung der EKZ CrossTour zuständig. Rocha organisierte 2018 und 2019 zwei Radquer-Weltcups in Bern. Seit rund 15 Jahren ist Rocha als Speaker in den Disziplinen Radquer, Strasse, MTB und Bahn aktiv. Er arbeitet früher in der Kommunikation von Swiss Cycling und war von 2012 bis 2015 Nationalcoach Frauen Strasse. In seiner Selbstständigkeit mit der crossroads Event und Kommunikation GmbH betreibt Rocha seit 2021 eigenständig die Plattform swiss-cyclocross.ch.

 

 

 


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